Mit spitzer Feder …

Haben Sie Geschwister? Ich habe einen jüngeren Bruder und zwei jüngere Zwillingsschwestern. Sie sind für mich das grösste Geschenk im Leben – ein Sechser im Lotto. Wie ich im Laufe der Jahre feststellen musste, ist dies absolut nicht selbstverständlich und ein grosses Privileg. Geschwisterliebe ist eine einzigartige Verbindung, die man nicht kopieren oder reproduzieren kann. Wir vier Geschwister haben so eine tiefe Akzeptanz und eine tiefgreifende Liebe füreinander, die man mit keiner anderen Liebe vergleichen kann. Niemand wird mich jemals in der Ganzheit kennen, wie meine Geschwister es tun, noch nicht mal unsere Eltern. Wir teilen nicht nur eine gemeinsame Vergangenheit, sondern haben uns in jeder Lebensphase neu kennen gelernt, aneinander gewöhnt und immer wieder eine Liebe füreinander entwickelt. Unsere Biographien mit einer oftmals überforderten, cholerisch veranlagten, narzisstischen Mutter und einem harmoniesüchtigen, zurückhaltenden aber liebenswerten Vater hat uns so geprägt, dass wir zu einem vierblättrigen Kleeblatt zusammengewachsen sind. Wir sind ein Team, das sich perfekt ergänzt, und an einem Strick zieht – inklusive der beiden Schwager. Eine kraftvolle Einheit ganz nach dem Motto «Unus pro omnibus, omnes pro uno», zu Deutsch «Einer für alle – alle für einen». Dieser Leitspruch trägt uns zuverlässig durch unsere Leben, in Krisen wie auch in guten Zeiten. Solidarität und Zusammenhalt ist für uns alle selbstverständlich. Alle sind wir absolut ehrlich, loyal und grosszügig. Wir hören einander zu und begegnen uns auf Augenhöhe – immer.
Ich bin die Älteste. Ich erinnere mich noch genau daran, als mein Bruder zur Welt kam: Als Dreijährige schaute ich durch das Glasfenster der Babyvitrine im Spital Langenthal: Die Säuglingsschwester zeigte dieses kleine, rote, fleischige, weinende Bündel mit den stahlblauen Augen. «Was machen wir nun damit?», war meine erste Frage an meinen Vater. «Er gehört nun zu uns», so die lakonische Antwort. 47 Jahre sind vergangen und wir haben viel miteinander erlebt. Als Kinder hatten wir gemeinsam viel ausgeheckt, gespielt, manchmal gestritten, – aber hauptsächlich hatten wir Spass. Wir haben in den ersten acht Jahren das Zimmer zusammen geteilt und uns oft gegenseitig Wärme, Trost und Geborgenheit gegeben, wenn unsere Mutter mal wieder mit dem Leben überfordert war. Und dann nach vier weiteren Jahren kam Verstärkung im Doppelpack: Unsere beiden Zwillingsschwestern. Die Überraschung war gross. Wir lagen in unseren Betten und Vater weckte uns, zog die Vorhänge auf und erklärte uns, dass wir nun zwei Geschwisterchen bekommen hatten. Wir fanden es toll. Es war für uns ein lebenslanger Volltreffer.
So spielte ich als Siebenjährige nicht mehr mit Puppen, sondern mit Babys. Mutter schob mir jeweils ein Baby zu und dann galt, es zu «schöppelen», zu wickeln, zu beruhigen etc. Daraus entstand eine ganz innige Beziehung zu meinen Schwestern. Sie entpuppten sich als starke, eigenständige, äusserst widerständige und geerdete Einheit, die den Familiendynamiken erfolgreich trotzte. Ich war ein sehr schüchternes, ängstliches Kind. Sie waren – obwohl einige Jahre jünger – immer eine starke Unterstützung und ein sicherer Hafen für mich. Wir vier Kinder verbrachten viel Zeit miteinander und erlebten viel zusammen. Auch später, als jeder von uns mit seinem eigenen Leben beschäftigt war, und seine eigenen Erfahrungen machte, seine eigenen Kämpfe focht, trug uns unser zartes aber resistentes Band der Freundschaft durchs Leben und funktionierte immer als zuverlässiger Kitt in einem dynamischen System.
Und heute: Mutter und Vater sind gestorben. Wir haben gemeinsam alles administrative Notwendige mit Behördengängen, Hausräumung, Abklärungen und Nachlassregelung, etc. in die Wege geleitet. Dabei kommen die Stärken eines jeden von uns zum Zug – bestens aufeinander abgestimmt. Unsere harmonische Geschwisterbeziehung bewährt sich auch in turbulenten Zeiten und lebt vom Respekt vor Individualität und dem Schaffen einer positiven Atmosphäre. Ich bin unendlich dankbar, und fühle mich gesegnet, mit meinen Geschwistern (und den beiden Schwager) solche zuverlässigen Freunde fürs Leben geschenkt bekommen zu haben. Was kann mir so noch passieren im Leben?
Herzlichst,
Ihre Corinne Remund
Verlagsredaktorin






